Walter Benjamin erinnert sich

Walter Benjamin erinnert sich

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Walter Benjamin in Paris und Berlin

Walter Benjamin wurde 1892 in Berlin-Charlottenburg geboren, er war das Kind einer gebildeten jüdischen Familie, und er hat sein ganzes Leben der Philosophie und dem Nachdenken gewidmet. Er  lebte in Berlin und Paris, und er nahm sich das Leben  auf der Flucht vor den Nationalsozialisten 1940 in Port Bou (Frankreich), in den Pyrenäen.  Er ist der Autor u.a. der Bücher Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen ReproduzierbarkeitPassagenwerk, Über den Begriff der Geschichte und von Berliner Kindheit um 1900. Er übersetzte Balzac, Baudelaire und andere. Walter benjamin gehört zu den einflussreichsten Denkern des 20. Jahrhunderts, und als ich in den 1980er Jahren an der FU in Berlin studierte, war er ein absoultes "Muss" - bei den Philosophen ebenso wie bei den Komparatisten.

Bei meiner recherche zum Thema Erinnern machte mich der Kusnthistoriker Wolfgang Siano auf einen Passus in Walter Benjamins Tagebüchern (im Abschnitt von 1939 bis zu seinem Tod), in denen sich nicht nur wunderbare Beschreibungen der Begegnungen mit Bertolt Brecht z.b. finden, sonden vor allem zahlreiche Reflektionen zur Geschichte:

Das wahre Maß des Lebens ist die Erinnerung. Sie durchläuft, rückschauend, das Leben blitzartig. So schnell, wie man ein paar Seiten zurückblättert, ist sie vom nächsten Dorf an die Stelle gelangt, an der der Reiter den Entschluß zum Aufbruch fasste. Wenn sich das Leben in Schrift verwandelt hat, wie den Alten, die mögen diese Schrift nur rückwärts lesen. Nur so begegnen sie sich selbst und nur so - auf der Flucht vor der Gegenwart - können sie es verstehen.

 

1. Begegnung

Walter Benjamin begegnete mir erstmals in Paris. Ich besuchte (nach dem Abi) an der Sorbonne Intensivkurse für Ausländer (cours pour des étrangers, so hieß das), und im 2. Semester hatten wir bereits Seminare zur Literatur. Im Schaufenster der Presse Universitaire de Paris, einer Unibuchhandlung (man korrigiere mir den Namen, ich schreibe es aus der Erinnerung), entdeckte ich ein Buch von Benjamin, im Untertitel war Baudelaire genannt, mit dessen Gedichten wir uns gerade befassten. Das ist doch ein deutscher Name, dachte ich, ein jüdischer deutscher Name, wer ist das? Ich kaufte das Buch und tauchte in ein grandoses Universum von Gedanken ein.