Pajand Soleymani
lotet in ihrer vieldeutigen Parabel die Frage aus, ob die Kraft der Imagination im Augenblick höchster Bedrängnis eine Rettung sein kann.
Amir, ein Gefängniswärter, soll einem zum Tode Verurteilten, der nur die unmenschliche Bezeichnung "Siebenundsechzig" erhält, seine letzte Mahlzeit bringen. Eine Aufgabe, die er schon einige Male hinter sich bringen musste. Doch dieses Mal fällt es ihm noch schwerer als sonst, etwas in ihm gerät ins Rutschen.
Er sucht innerlich Zuflucht bei seiner Mutter, die auf seinen Besuch zum Neujahrsfest wartet und die ihn mit ihren Geschichten oft tröstet.
Zugleich begegnet Amir in dem fremden zum Tode verurteilten Mann einem Geschichtenerzähler: eine männliche Scheherazade, die jedoch keinen Grund zur Hoffnung hat.
Meisterhaft verdichtet die iranische Schriftstellerin Pajand Soleymani diese existenzielle Situation. Geradezu lakonisch erfasst sie eine dabei surreal flirrende Atmosphäre, deren Dringlichkeit sich den Lesenden unmittelbar mitteilt.

Ina Abuschenko-Matwejewa
hat ihre Lektüre der Erzählung von Pajand Soleymani in einer Werkreihe reflektiert, die sie "To The Iranian People" nennt. Sie folgt Pajands Erkundung der Ambivalenz dieser außergewöhnlichen, und doch heute absolut aktuellen Situation eines Menschen, der ohne weiteren Grund zum Tode verurteilt ist - und der "Mobilmachung" der Phantasie. In ihren abstrakten Arbeiten scheint die Gefangenschaft auf; die leuchtenden Farben sind durchkreuzt von ihrer Form, die ebenfalls offen lässt, ob etwas verschlossen oder geöffnet wird.
Die Künstlerin hat sich bereits mit der iranischen Autorin Fariba Vafi auseinandergesetzt und erkundet hier auf eigene Weise das Dilemma nicht nur der iranischen Bevölkerung, sie fragt sich, wie Menschen in einer äußerst fragilen Lebenssituation überhaupt Hoffnung schöpfen können. Für sie ist die Frage zentral, was Menschsein unter extremen Bedingungen überhaupt sein kann - eine Frage, die sie in der Erzählung von Pajand Soleymani gestellt findet. Gilt denn in einer Willkürherrschaft, in der Menschen über Leben udn Tod anderer Menschen entscheiden, überhaupt noch Hölderlins Diktum: Wo Gefahr ist, wächst aber das Rettende auch?


Nuschin Mameghanian-Prenzlow
die für den Bübül Verlag bereits die Erzählungen "Immer mit Zucker" von Pajand Soleymani und "Die Reise im Zug" von Fariba Vafi übersetzt hat, trifft mit ihrer kargen, präzisen Sprache den Gestus der Autorin, deren engagierte Arbeit und Situation im Iran sie gut kennt. Sie belässt Wendungen, die auf den ersten Blick im Deutschen ungewöhnlich scheinen, aber dadurch die Andersartigkeit des Empfindens, Denkens und Erzählens erst hervorbringt. Dadurch wird die Erzählung nicht einer womöglichen Erwartung eines deutschen Publikums angeglichen, sondern der Reichtum in dieser einzigartigen Wahrnehmung und Ausdrucksweise der iranischen Autorin erschlossen.